Einsatzdatum: 31.August 2005, 8 Uhr 11    Einsatzstichwort: Brand_Industriebetrieb
Eingesetzte Einheiten: Gesamte Feuerwehr Espelkamp, Einheiten der Feuerwehren Georgsmarienhütte, Lübbecke, Minden, Osnabrück, Rahden, Stemwede,
Rettungsdienst Kreis Minden-Lübbecke, DRK Altkreis Lübbecke, THW Bünde und Bielefeld

Am 31. August 2005 kam es in Espelkamp (Kreis Minden-Lübbecke) zu einem Großbrand in einer Lackfabrik, der den Einsatz mehrerer Feuerwehren und Hilfsorganisationen zur Folge hatte. Es war der bisher größte Einsatz in der Geschichte der Feuerwehr Espelkamp. Im Einsatzverlauf kam es zu einer Reihe von zum Teil sehr heftigen Explosionen. Die Produktionshalle eines angrenzenden textilverarbeitenden Betriebes wurde ebenfalls ein Raub der Flammen.

Nachfolgend wird ein Fachaufsatz von V.Dau über diesen Einsatz in der Zeitschrift "Der Feuerwehrmannn"  (Ausgabe 12/2005) wiedergegeben:

 

Objektbeschreibung

Die vom Schadenereignis betroffene Lackfabrik ist an der Straße „In der Tütenbeke“ im Industriegebiet „Nord“ in Espelkamp gelegen. Die Straße nimmt einen Nord-Süd-Verlauf; das Einsatzobjekt stellt sich östlich der Straße dar. Während der süd-westliche Teil des Komplexes aus Büro- und Verwaltungsräumen in eingeschossiger Flachbauweise bestand und diese annähernd L-förmig von teilweise doppelt hohen Produktionshallen eingefasst waren, befand sich der vom Brand zuerst betroffene Lagerbereich östlich dieser Gebäude. An der Nordseite des Lagers waren zehn große Außentanks unter anderem zur Bevorratung brennbarer Flüssigkeiten aufgestellt (siehe Skizze unten).

Südöstlich grenzte die Lagerhalle an eine Baustelle für einen geplanten Ausbau des Produktionsbereiches. Die Baustelle war charakterisiert von Beton-Fertigteilstützen, die bodennah mit einem betonierten, aber noch eingeschalten, Sockel verbunden waren. Aus dem Sockel ragten zahlreiche etwa 10 cm hohe Bewehrungseisen (Unfallgefahr!).

Das Lager, größtenteils in Stahlskelettbauweise mit Trapezblechwänden ausgeführt, diente der Bevorratung von Pigmenten und Füllstoffen, die als Pulver in Papiersäcken und auch in kleineren Behältnissen schubladenähnlicher Form verpackt bzw. aufbewahrt waren. Darüber hinaus waren auch Fässer mit brennbaren Flüssigkeiten usw. in dreistöckigen Schwerlast- Metallregalen untergestellt.

Zum Zeitpunkt des Einsatzes wurden nach Angaben des Betriebsleiters ca. 100t Lösungsmittel (Testbenzin, UN-Nr.1268; Xylole, UN-Nr.1307; Aceton, UN-Nr.1090; Butylacetat, UN-Nr.1123; Isobutanol UN-Nr.1212 und ein Aromatengemisch, UN-Nr. 3082) sowie ca. 50t Farben (Fertigprodukte) und Bindemittel gelagert.

An der Südseite des Bürotraktes befand sich im Außenbereich ein weiterer Flüssiggastank mit 2,9t Butan.

Alarmierung

Am 31. August 2005 ging bei der Leitstelle für Feuerschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz (LST FRK) des Kreises Minden-Lübbecke um 8 Uhr 11 über den Feuerwehrruf 112 der Notruf ein. Ein Mitarbeiter der Lackfabrik meldete ein Feuer in der Lagerhalle. Des Weiteren berichtete der aufgeregte Anrufer von mehreren kleineren Explosionen.

Im ersten Abmarsch wurde der Löschzug Mitte mit TLF 24/50, TroTLF 16, DLK 23/12, LF 16TS, LF 8/8 und ELW des WeFü sowie ein NAW (RTW+NEF) der benachbarten Rettungswache alarmiert. Der Wehrführer Stadtbrandinspektor, Reiner Hußmann und späterer Einsatzleiter (EL), hat seinen Arbeitsplatz im betroffenen Industriegebiet nur unweit der Einsatzstelle. Noch auf der Anfahrt zur Feuerwache ordnete er die sofortige Sperrung des gesamten Industriegebietes an (8 Uhr 15). Parallel erfolgte eine Alarmstufenerhöhung. Die gesamte Wehr der Stadt Espelkamp wurde alarmiert.

Um 8 Uhr 16 setzte das ersteintreffende Fahrzeug (TLF 24/50) die Rückmeldung: „Brand des Industriebetriebes Stanger in voller Ausdehnung, gesamtes Industriegebiet ‘Nord’ durch heftige Explosionen in Gefahr“. Bei Ankunft des WeFü um 8 Uhr 24 fordert dieser nach kurzer Erkundung überörtliche Hilfe an; zunächst weitere Löschfahrzeuge,  DLK 23/12 (FF Lübbecke) GW Mess (BF Minden), ELW 1 (FF Rahden) und ELW 2 (Kreis). Der kreiseigene ELW 2 war erst wenige Monate zuvor in Dienst gestellt worden und kam hier zum ersten Mal zum Einsatz.

Angesichts des großen Gefährdungspotenzials entschloss sich der EL in Abstimmung mit dem zuständigen OrgL RD, der zufällig mit dem NAW angerückt war, vorsorglich zur Auslösung des MANV-Alarms Stufe 1. Der MANV-Plan des Kreises Minden-Lübbecke unterscheidet drei Alarmstufen. Stufe 1 (5-9 Verletzte) sieht die Alarmierung  die Alarmierung von 1 NEF, 1 LNA, 1 Orgl RD, 3 RTW, 1 KTW und 1 Koordinator in der LSt vor.

Im späteren Einsatzverlauf wurde weitere überörtliche Unterstützung in Anspruch genommen, u.a. weitere Einheiten der benachbarten Wehren, eine DRK-Einsatzeinheit (Komponente Betreuung und Sanitätsdienst), schweres Räumgerät des THW, Messzug des Kreises Osnabrück.

Brandverlauf

Beim Eintreffen der ersten Einsatzkräfte stand ein großer Teil der ca. 560m² großen Lager- und Produktionsfläche in Brand. Nachdem klar war, dass trotz der rasend schnellen Brandausbreitung alle Mitarbeiter das Gebäude rechtzeitig hatten verlassen können, konzentrierten sich die Einheiten auf den Schutz der angrenzenden Gebäude und die Kühlung des erheblich wärmebeaufschlagten Butangastank.

Die Einsatzstelle wurde in drei Einsatzabschnitte eingeteilt. Ferner wurde ein Bereitstellungsraum „Rettungsdienst“ sowie ein Bereitstellungsraum „Feuerwehr“ eingerichtet .

Die gefährlichste Situation des Einsatzablaufs trat ein, als zwischen 8 Uhr 38 und 8 Uhr 43 die großen Lösungsmitteltanks zerbarsten oder mit einer rund 50m hohen Feuersäule ihren Inhalt abbliesen. Einer der auf Metallfüssen stehenden 10.000l-Behälter knickte zunächst seitlich ein, bevor er mit einer heftigen Explosion unterhalb des Doms aufriss. Ein gewaltiger Feuerball wälzte sich über die westliche Einsatzstelle. Die Druckwelle schleuderte große Steinbrocken und zum Teil mehrere Meter große Fassadenteile bis über 100m weit. Es wurde der sofortige Rückzug aller Einsatzkräfte befohlen. Ein eigentlich „überflüssiger“ Befehl - die Wehrleute rannten selbstständig unter dem Eindruck dieses bedrohlichen Ereignisses los, um sich in Sicherheit zu bringen. „Wie durch ein Wunder“, so die später häufig wiederholte Formulierung zahlreicher Augenzeugen, wurde niemand der Einsatzkräfte, Mitarbeiter oder der vielen  Schaulustigen an der Absperrgrenze bei den Explosionen verletzt...

Die angrenzenden Industriebetriebe waren zuvor mit Unterstützung von Polizeikräften evakuiert worden.

Durch die Explosionen war eine Wand zur Produktionshalle des nördlich gelegenen Modeherstellers Pianka eingedrückt und die Dachhaut eröffnet worden. Eine Brandausbreitung war die Folge. Der Versuch die Fa. Pianka „zu halten“ musste relativ schnell aufgegeben werden (9 Uhr 30), dagegen war eine Riegelstellung mit mehreren Wasserwerfern zum östlich angrenzenden Betrieb erfolgreich.

Weitere Gefahr ging von einer nahe am Brandobjekt vorbeiführenden 120kV-Hochspannungsleitung aus. Ein Mitarbeiter des EVU sah sich vor Ort nicht in der Lage zu beurteilen, ob die Leitung wegen der Hitzeentwicklung abzuschalten sei. Letztendlich entschied sich der EL gegen eine Abschaltung, sondern nahm den Vorschlag des Freischaltens der dem Brandobjekt zugewandten Seite der Hochspannungsleitung an. Eine Abschaltung hätte zur Folge gehabt, dass ganz Espelkamp (ca. 28.000 Einw.) stromlos gewesen wäre.

Der massive Einsatz von mehren Schaumwerfern brachte schließlich den gewünschten Löscherfolg. Der große Schaummittelbedarf wurde aus einem AB-Schaum der Werkfeuerwehr BASF (Minden) gedeckt. Im Laufe des Einsatzes wurden 7.500 Liter Schaummittel verbraucht!

Um 11 Uhr 35 war das Feuer unter Kontrolle. Zu diesem Zeitpunkt waren 2 Wenderohren über DLK, 1 Wasserwerfer, 3 Schaumwasserwerfer und 6 B-Rohre im Einsatz.

Das dabei anfallende Löschwasser konnten nahezu vollständig zurückgehalten werden. 1.400 m³ belastetes Wasser wurden in den folgenden Wochen in eine spezielle Kläranlage zur Entsorgung abgefahren.

Nach etwa 5 Stunden wurden erste Einsatzeinheiten aus dem Einsatz herausgelöst und durch Einsatzkräfte der FF Stemwede abgelöst. Um ca. 6 Uhr des folgenden Tages wurden die Nachlöscharbeiten zunächst eingestellt. In den folgenden Tagen musste die Feuerwehr bei den Aufräumungsarbeiten aber noch mehrmals wieder tätig werden. Am 3.September hieß es um 17 Uhr „Feuer aus“.

Schadstoffmessungen

Die starke Rauchentwicklung führte bei klarer Sicht zu einer spektakulären optischen Wahrnehmung und damit aber auch zur Beunruhigung der Bevölkerung. Die Bevölkerung wurde durch Lautsprecherdurchsagen der Polizei bzw. durch den Lokalfunk informiert und zum Schließen von Fenster und Türen aufgefordert. Der leichte Wind aus Südost bewegte die Rauchwolke vom Kernstadtbereich weg. Vom Deutschen Wetterdienst (DWD) forderte die LST eine Ausbreitungsberechnung der Rauchwolke an. Die Berechnung war sehr schwierig bzw. ungenau, weil wesentliche Parameter bei „instabiler Wetterlage“ nicht bekannt waren, z.B. Zusammensetzung der Rauchgase, Temperatur in verschiedenen Höhen usw.

Es erfolgten über die Kreisgrenze hinaus bis in ca. 50km  Entfernung Schadstoffmessungen in der Atmosphäre. Bei den Messungen unterstützte der Polizeihubschrauber „Hummel“ sowie der Messzug des Kreises Osnabrück. Es wurde keine Werte gemessen, die weitere Maßnahmen erforderlich gemacht hätten.

Brandursache

Eine sichere Ermittlung der Brandursache konnte auf Grund des erheblichen Zerstörungsgrades und der langen Branddauer  nicht erfolgen. Allerdings ließ sich der Bereich von dem der Brand ausgegangen ist im Rahmen der Befragung von Entdeckungszeugen subjektiv ermitteln. Objektive Spurenbilder plausibilisierten, dass der Brand im Lager bei auf Paletten verpackten Weißpigmentsäcken seinen Ausgang genommen hat. Nach ersten vorsichtigen Schätzungen entstand ein Schaden von 20 bis 25 Millionen Euro.

Fazit

Der Umfang der Schadenslage überstieg die Kräfte der FF Espelkamp bei weitem. Man ist knapp an der Feststellung einer Großschadenslage „vorbei geschrammt“. Es ist aber einer konsequenten Vorbereitung auf die Bewältigung von Großschadenslagen im Kreis Minden-Lübbecke zu verdanken, dass die überörtliche Hilfeleistung und die Koordination der Einsatzkräfte reibungslos funktionierte. Die Führungskräfte der am Einsatz beteiligten Organisationen und Dienststellen waren sich untereinander größtenteils persönlich bekannt und in der Zusammenarbeit erprobt.
Die Einsatzkräften gingen besonnen und diszipliniert vor. Trotz der Vielzahl der eingesetzten Helfer blieben unkoordinierte Eigeninitiativen oder Aktivitäten aus, die der Einsatzleitung zusätzliche Probleme bereitet hätten. Es waren mehr als 200 Kräfte von Feuerwehr und THW, 40 von Rettungs- u. Sanitätsdienst sowie ca. 70 Polizeibeamte in den Einsatz eingebunden.

Letztendlich war bei der Einsatzabwicklung auch ein Quäntchen Glück im Spiel, dass keine Kameradin oder Kamerad zu Schaden gekommen ist.

 

 

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